Das 2024 eröffnete „Digital-Ausbildungslabor Metall“ in Heilbronn will Jugendliche mit einer modernen Metallausbildung begeistern. Bei dem Angebot der gewerblichen Wilhelm-Maybach-Schule spielt das digitale Lernkonzept EDUCATION 4.0 eine zentrale Rolle. Ein wichtiger Bestandteil sind mehrere neue, speziell hierfür konfigurierte Dreh- und Fräsmaschinen. An 16 Online-Lehrplätzen können die Schüler zusätzlich individuell und ihrem eigenen Tempo entsprechend lernen.
Mit etwa 2.500 Schülerinnen und Schülern ist die Einrichtung eine der größten gewerblichen Schulen Baden-Württembergs. Sie sieht sich als Vorreiter in der dualen Ausbildung, ein Anspruch, den sie mit ihrem neuen Digital-Ausbildungslabor untermauert. Mehr als 700.000 € hat sich die Stadt Heilbronn als Schulträger die neuen Räumlichkeiten und die Maschinen kosten lassen. Davon profitieren rund 500 Schüler sowie die zwölf technischen Lehrer, die zusammen mit ihren Kollegen aus der Theorie die Metallausbildung verantworten. Sie lernen ein- oder zweijährig in der Berufsfachschule, machen über dreieinhalb Jahre eine Lehre als Mechatroniker Werkzeugmacher oder Werkzeugmechaniker oder werden in zwei Jahren zum Techniker Fertigungstechnik ausgebildet.
Die moderne Lernwerkstatt wurde nach einer umfassenden Modernisierung im letzten Jahr wiedereröffnet. Im Mittelpunkt stehen speziell auf die Bedürfnisse der Ausbildung abgestimmte Werkzeugmaschinen in der Ausstattungsvariante EDUCATION4.0. Es sind mehrere baugleiche konventionelle Drehmaschinen WEILER Praktikant VC Plus und hybrid bedienbare Fräsmaschinen KUNZMANN WF 410 MC+ One. Diese lassen sich sowohl manuell über Handräder als auch über eine CNC-Bahnensteuerung bedienen. Mit den Maschinen der beiden Hersteller hat die Schule schon seit langer Zeit gute Erfahrungen: Über 45 Jahre waren rund dreißig alte Condor-Drehmaschinen von WEILER und mehr als zwei Jahrzehnte ein Dutzend KUNZMANN-Fräsmaschinen vom Typ WF 4/3 im Einsatz.
Der Fachausbilder war sofort elektrisiert
Erstmals während der AMB 2022 wurde Gerd Glasbrenner, Fachbetreuer Metallausbildung an der Wilhelm-Maybach-Schule, auf die damals erstmals der Öffentlichkeit vorgestellten Education4.0-Maschinen aufmerksam. Da ihm die Integration digitaler Inhalte in die Metallausbildung ein Herzensanliegen ist, war er sofort elektrisiert: „Diese Maschinen waren von Anfang an meine erste Wahl. Denn ich wollte schon immer gegen das angestaubte Image der Metallberufe vorgehen und eine moderne Ausbildung aufbauen, die junge Menschen anspricht.“
Drei Monate nach dem Erstkontakt informierte sich Glasbrenner vor Ort bei KUNZMANN in Remchingen, im Januar 2023 war er zu Besuch bei WEILER. 2024 wurden dann die ersten Maschinen geliefert. Seitdem schwärmt der Technische Oberlehrer, der seit 2002 an der Schule arbeitet, von der neuen Technik: „Wir haben uns umfassend informiert; es gibt am Markt nichts Vergleichbares, was eine moderne Ausbildung so perfekt unterstützt.“

Manuelles Arbeiten und moderne Frässtrategien
Die Praktikant VC Plus ist eine konventionelle Drehmaschine mit einer Spitzenweite von 650 Millimetern und einer Spitzenhöhe von 160 Millimetern. Mit diesem Arbeitsraum und einer Antriebsleistung von 8 Kilowatt bei 100 Prozent Einschaltdauer sowie einem Drehzahlbereich von 25 bis 5.000 Umdrehungen pro Minute eignet sie sich optimal für die Ausbildung.
Auch der robuste und schwingungsdämpfende Aufbau, der jederzeit präzises Arbeiten ermöglicht, sowie die einfache Handhabung erfüllen die Anforderungen einer Lehrwerkstatt. Zudem bieten die Maschinen elektronische Anschläge, so dass auch das Kegel- und Radiendrehen und das Gewindeschneiden vermittelt werden können. Die hybriden Fräsmaschinen vom Typ WF 410 MC+ One bieten einen Arbeitsbereich von 410 x 350 x 450 mm (X/Y/Z). Die Schule hat sowohl Maschinen mit Fräskopf als auch mit Motorspindel angeschafft – mit Antriebsleistungen 60 %/100 % ED von 5,5/10,5 kW beziehungsweise 8/12 kW und Drehzahlbereichen von 1-5.000 U/min respektive 1-12.000 U/min.
„Mit den neuen Maschinen können wir zum einen grundständig das manuelle Drehen und Fräsen vermitteln. Dank der Ausstattung einer WF 410 MC+ One mit Motorspindel können wir zum anderen auch hochdynamische Frässtrategien ausprobieren und beispielsweise das trochoidale Fräsen vorführen, was mehr Dynamik von der Maschine verlangt“, erklärt Glasbrenner. Diese Dynamik bieten die Fräsmaschinen, die zudem mit Profilschienenführungen ausgestattet sind und so auch kleine Hübe in allen Dimensionen ermöglichen.
EDUCATION 4.0: Digitalisierung in der Lehre
Beide Modelle der Werkzeugmaschinen werden in der jeweiligen Grundausführung in der Industrie für die Einzelteil- und Kleinserienfertigung genutzt. Ihre EDUCATION4.0-Varianten sind gezielt für die Ausbildung und das gleichnamige digitale Lernkonzept konzipiert. Damit können Lehrer und Schüler interaktiv auf Fachinhalte zugreifen, die speziell für eine moderne Ausbildung an Drehmaschinen und Fräsmaschinen konzipiert wurden. Dargeboten werden sie in einem Mix aus Lerninhalten am digitalen Zwilling, animierten Tutorials, 3D-Visualisierungen, Videos sowie Übungen und Aufgaben.
Die Materialien stehen allen Lehrenden und Lernenden jederzeit und ortsunabhängig zur Verfügung. Sie können sie an den großen Touchscreens der neuen physischen Dreh- und Fräsmaschinen mit der EDUCATION4.0-Ausstattung bearbeitet– oder über PC, Tablet und Smartphone am virtuellen Maschinenzwilling.
Jeder kann in seinem eigenen Tempo lernen
Dieses Konzept erlaubt Auszubildenden – auch unabhängig vom Vorhandensein einer realen Dreh- oder Fräsmaschine – Inhalte vorzubereiten und sie anschließend zu vertiefen. So können sie Lerneinheiten beispielsweise im Betrieb oder zu Hause durcharbeiten.
Ganz im Sinne des Blended Learnings, der Kombination von klassischem und computergestützten Lernen, ist der flexible Wechsel zwischen beiden Varianten ebenfalls möglich. Wenn Glasbrenner und seine Kollegen es wünschen, können sie sogar für jeden Auszubildenden individuell festlegen, in welcher Weise er die Inhalte bearbeiten soll. WEILER und KUNZMANN stellen zahlreiche Lernaufgaben zu den wichtigsten Maschinenthemen bereit: Sie reichen von den Grundlagen und Sicherheitsfunktionen über die Bedienung mit Spannmitteln bis hin zum Zubehör und zur Maschinenpflege.
Sämtliche Inhalte stehen online auf der Lernplattform MLS (Modular Learning System), die die Nachwuchsstiftung Maschinenbau des VDMA und VDW betreibt. Angemeldete Ausbilder, Lehrer, Dozenten, Schüler und andere Berechtigte können mit jedem internetfähigen Gerät darauf zugreifen. Das individuelle Lernen ist auch in der neuen Werkstatt möglich, wie Glasbrenner erläutert: „16 Lernplätze stehen den Schülern hierfür bei uns zur Verfügung.“ Er plant, künftig auch eigene Inhalte zu produzieren und auf die Plattform hochzuladen.
Bearbeitungen aus den Maschinen lassen sich live übertragen
Alle Maschinen verfügen über Kameras, so dass Glasbrenner die Bearbeitungsprozesse live auf zwei große Leinwände im Lernlabor übertragen kann. So können die Ausbilder theoretische Inhalte direkt mit praktischen Demonstrationen verbinden. Über das digitale Dashboard StateViewer sind die Maschinen miteinander vernetzt. Glasbrenner und seine Kollegen können die verschiedenen Inhalte von ihrem Leitungsplatz aus zu den Schülern an den Maschinen und Lernplätzen einspielen. Eine Chatfunktion an allen Plätzen erlaubt eine rasche Kommunikation zwischen allen Beteiligten.
Neue Lerneinheit „Digitales Messen“
Darüber hinaus hat die Schule in hochmoderne Spannmittel wie Magnetspannplatten sowie Bluetooth-gestützte Funkmessmittel investiert. Mit ihnen und der neuen EDUCATION4.0-Lerneinheit „Digitales Messen“ können die Drehmaschinen auch als Messsysteme benutzt werden. Hierbei hilft ein einfaches Tool den Ausbildern dabei, ein Messprotokoll für ein Werkstück zu erstellen.
Der Schüler vermisst an der Maschine das von ihm bearbeitete Bauteil mit Hilfe eines digitalen Messschiebers oder einer Bügelmessschraube. Das so digital erstellte Messprotokoll sendet die Maschine automatisch an den Ausbilder zurück. Der gesamte Messprozess von der Aufgabenstellung bis zur Übersendung des Protokolls verläuft digital und papierlos.
Vernetzung und Kooperation in der Region
Ergänzt wird die Vermittlung im Lehrlabor durch eine intensive Vernetzung und Kooperation mit den Ausbildungsbetrieben im Heilbronner Raum. An den zweijährig stattfindenden Technologietagen für Unternehmen, Schüler und Interessierte kann die Schule zeigen, wie eine moderne Ausbildung aussehen kann, so Schulleiter Röpke: „Dabei präsentieren wir uns mit unserem Digital-Ausbildungslabor Metall als Vorreiter und führen vor, dass die überaus großzügige Förderung der Stadt Heilbronn gut angelegt ist.“.
Für ihn ist das Labor ein Meilenstein der Schulentwicklung: „Als ich es erstmals sah, war ich sofort begeistert. Der Raum ist mehr als nur eine Werkstatt – er ist der vierte Pädagoge neben den Lehrkräften, den Medien und den Maschinen. Das Lernumfeld ist hell, großzügig und inspirierend.“

